EuGH: Vergaberecht gilt nicht für Notfall-Rettungsdienstleistungen

April 2019

Die Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe gelten nicht für die Dienstleistung des Transports von Patienten im Notfall durch gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 21. März 2019 entschieden (C‑465/17).

Der zugrunde liegende Fall: Die Stadt Solingen hatte, nachdem sie mehrere Hilfsorganisationen zur Abgabe eines Angebots aufgefordert hatte, im Jahr 2016 einen Auftrag über Rettungsdienstleistungen für die Dauer von fünf Jahren an zwei dieser Vereinigungen vergeben. Der Auftrag betraf insbesondere die Betreuung und Versorgung von Notfallpatienten durch Rettungsassistenten, unterstützt durch einen Rettungssanitäter, sowie den Einsatz im Krankentransport mit der Hauptaufgabe der Betreuung und Versorgung von Patienten durch einen Rettungssanitäter, unterstützt durch einen Rettungshelfer (letzterer im Folgenden: qualifizierter Krankentransport).

Das Unternehmen Falck Rettungsdienste und die Falck A/S-Gruppe, zu der Falck Rettungsdienste gehört, riefen deutsche Gerichte an, um festzustellen zu lassen, dass diese Vergabe mangels vorheriger Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union nach den allgemeinen Regelungen der Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe (Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014) rechtswidrig sei.

In diesem Kontext fragte das Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) den Gerichtshof, ob diese Aufträge unter den Begriff "Dienstleistungen der Gefahrenabwehr" fallen, die gemäß Art. 10 Buchst. h der Richtlinie 2014/24vom Geltungsbereich der klassischen Regelungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen sind, sofern sie bestimmten CPV (Common Procurement Vocabulary [Gemeinsames Vokabular für öffentliche Aufträge]) – Codes entsprechen und von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden. Unter Umständen fielen diese Dienstleistungen unter den Begriff "Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung", für die ein vereinfachtes Vergabeverfahren gelte. Zudem wollte das Oberlandesgericht wissen, wie der Begriff "gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen" auszulegen ist.

In seinem Urteil vom 21. März 2019 stellt der EuGH fest, dass nach Art. 10 Buchst. h der Richtlinie die klassischen Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe einschließlich der Verpflichtung zur Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt nicht für öffentliche Aufträge gelten, die den Katastrophenschutz, den Zivilschutz oder die Gefahrenabwehr betreffen, wenn die doppelte Bedingung eingehalten wird, dass sie unter bestimmte CPV-Codes fallen (hier der Code für "Rettungsdienste" oder für den "Einsatz von Krankenwagen") und von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden. Diese Ausnahme von der Geltung der Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe enthält jedoch insofern eine Ausnahme von der Ausnahme, als dass sie nicht für den Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung gilt, für die die vereinfachten Beschaffungsregelungen gelten.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass es sich bei der Betreuung und Versorgung von Notfallpatienten in einem Rettungswagen durch einen Rettungsassistenten/Rettungssanitäter und beim qualifizierten Krankentransport weder um "Dienstleistungen des Katastrophenschutzes" noch um "Dienstleistungen des Zivilschutzes" handele, sondern um "Gefahrenabwehr". Aus der wörtlichen und aus der systematischen Auslegung der Richtlinie ergebe sich nämlich, dass die "Gefahrenabwehr" sowohl Gefahren für die Allgemeinheit als auch Gefahren für Einzelpersonen betreffe.

Des Weiteren ist der EuGH der Auffassung, dass die zugunsten von Dienstleistungen der Gefahrenabwehr bestimmte Ausnahme von den Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe nur für bestimmte Notfalldienste gilt, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden, und nicht über das unbedingt notwendige Maß hinaus ausgeweitet werden darf. Die Nichtanwendbarkeit der Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe sei somit untrennbar mit dem Vorhandensein eines Notfalldienstes verknüpft.

Die Betreuung und Versorgung von Notfallpatienten, die außerdem in einem Rettungswagen durch einen Rettungsassistenten/Rettungssanitäter geleistet werde, falle unter den CPV-Code, der "Rettungsdiensten" entspreche. Der qualifizierte Krankentransport falle hingegen nur dann unter den Code, der dem "Einsatz von Krankenwagen" entspreche, wenn zumindest potenziell ein Notfall vorliege, d. h. wenn ein Patient befördert werden müsse, bei dem das – objektiv zu beurteilende – Risiko bestehe, dass sich sein Gesundheitszustand während des Transports verschlechterte. Dieses Risiko bringe mit sich, dass der Transport von ordnungsgemäß in erster Hilfe geschultem Personal durchgeführt werden müsse. Unter diesen Umständen fänden die allgemeinen Regelungen über die öffentliche Auftragsvergabe (einschließlich der Verpflichtung zur vorherigen Veröffentlichung einer Bekanntmachung mit Amtsblatt) keine Anwendung, sofern diese Dienstleistungen von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werde.

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen, deren Ziel in der Erfüllung sozialer Aufgaben besteht, die nicht erwerbswirtschaftlich tätig sind und die etwaige Gewinne reinvestieren, um ihr Ziel zu erreichen, unter den Begriff "gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen" im Sinne der Richtlinie fallen. Folglich steht die Richtlinie einer nationalen Regelung entgegen, wonach anerkannte Hilfsorganisationen wie Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen als "gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen" gelten, ohne dass die Anerkennung als Hilfsorganisation im nationalen Recht davon abhängt, dass keine Gewinnerzielungsabsicht vorliegt. Quelle/Weitere Informationen: Gerichtshof der Europäischen Union, Pressemitteilung Nr. 38/19 vom 21. März 2019