Neue Studie: Skepsis gegenüber Zuwanderung nimmt in Deutschland weiter ab

Februar 2022

Die Beurteilung von Migration und Integration in Deutschland hat sich erneut leicht verbessert. Dabei spielen insbesondere die Chancen, welche die Zuwanderung der Wirtschaft bietet, eine Rolle. Das geht aus einer neuen Studie der Bertelsmann Stiftung zur Willkommenskultur hervor. Demnach sind 68 % der Befragten der Ansicht, Zuwanderung bringe Vorteile für die Ansiedlung internationaler Firmen. 65 % erwarten eine geringere Überalterung der Gesellschaft, 55 % einen Ausgleich für den Fachkräftemangel und 48 % Mehreinnahmen für die Rentenversicherung.

Die Werte fallen höher aus als bei den vorhergehenden Befragungen in den Jahren 2017 und 2019. Analog dazu sind die Sorgen vor möglichen negativen Effekten von Zuwanderung weiter zurückgegangen, auch wenn diese nach wie vor von einer Mehrheit geteilt werden. Befürchtungen im Hinblick auf Belastungen für den Sozialstaat äußern 67 % der Befragten, 2019 waren es noch 71 %. Konflikte zwischen Eingewanderten und Einheimischen erwarten noch 66 % (2019: 69 %). Mit Problemen in Schulen rechnen nur noch 56 % (2019: 64 %). Ungebrochen ist die Sorge vor Wohnungsnot in Ballungsräumen, die mit 59 % auf demselben Niveau liegt wie vor drei Jahren.

"Die Chancen von Zuwanderung rücken mehr in den Fokus"
"Das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zur Migration hat sich seit dem Höhepunkt der ‚Fluchtkrise‘ 2015 kontinuierlich verbessert und die Chancen von Zuwanderung rücken immer mehr in den Fokus. Das dürfte auch an den Erfahrungen aus der Corona-Krise liegen. Viele Menschen haben konkreter erfahren, wie wichtig es ist, dass die kritische Infrastruktur funktioniert und dass wir hierfür auch auf Zuwanderung angewiesen sind, von der Pflege, über den Dienstleistungssektor bis hin zur Landwirtschaft. Allerdings ist auch klar zu erkennen, dass der Umgang mit Vielfalt Zeit braucht. Sorgen und Zweifel sind noch immer verbreitet und erfordern gesamtgesellschaftliche Antworten", sagt Orkan Kösemen, Projektleiter bei der Bertelsmann Stiftung.

Wie die Studie zeigt, ist die Sicht auf die Willkommenskultur in Deutschland nach wie vor differenziert: Menschen, die zum Arbeiten oder Studieren einwandern, werden nach Einschätzung einer großen Mehrheit der Befragten von den staatlichen Stellen ihrer Kommune (78 %) wie auch von der Bevölkerung vor Ort (71 %) eher oder sehr willkommen geheißen. Zwar sehen die Befragten das für die Gruppe der Geflüchteten mehrheitlich ebenso, allerdings fallen die Werte hier mit 68 und 59 % deutlich geringer aus. Andererseits ist die Aufnahmebereitschaft gegenüber geflüchteten Menschen gestiegen und steht erstmals wieder an einem ähnlichen Punkt wie vor 2015. Nur noch 36 % vertreten aktuell die Meinung, Deutschland könne nicht mehr Geflüchtete aufnehmen, weil es an seiner Belastungsgrenze sei. 2017 äußerten sich noch 54 % so. Auch die Ansicht, dass die Bundesrepublik aus humanitären Gründen mehr Geflüchtete aufnehmen sollte, wird inzwischen von fast jedem zweiten Befragten (48 %) geteilt.

Mangelnde Chancengleichheit und Diskriminierung behindern die Integration
Schon die zurückliegenden Studien zur Willkommenskultur haben ergeben, dass Integration nicht als Einbahnstraße wahrgenommen wird, sondern als ein Prozess, der sowohl den Zugewanderten als auch dem Aufnahmeland Anstrengungen abverlangt. In der aktuellen Befragung fällt auf, dass die Erwartungen an die Aufnahmegesellschaft stärker ins Blickfeld rücken. So sehen mehr Menschen als noch 2019 mangelnde Chancengleichheit für Zugewanderte auf dem Arbeitsmarkt und Diskriminierung aufgrund der Herkunft als größte Hindernisse für Integration. Dazu passt, dass sich auch mehr Befragte für neue Antidiskriminierungsgesetze aussprechen, vor allem in Bezug auf den Umgang mit Behörden. Zudem herrscht die Auffassung vor, dass Menschen mit Migrationshintergrund in wichtigen gesellschaftlichen Bereichen nur ungenügend vertreten sind. Das gilt vor allem für Politik, Verwaltung und Polizei sowie Kitas, Schulen und Universitäten. Weiterhin finden viele Befragte, dass die Leistungen von Zugewanderten nicht ausreichend gewürdigt werden. Die Migrantinnen und Migranten selbst bewerten die Situation noch kritischer. Im Vergleich zum Durchschnitt der Befragten sehen mehr von ihnen mangelnde Chancengleichheit und Diskriminierung als größte Integrationshindernisse. Auch ihre Zustimmungswerte zur Frage nach angemessener Vertretung in gesellschaftlichen Schlüsselbereichen fallen teilweise niedriger aus.

Voraussetzungen für gesellschaftliche Teilhabe verbessern
Die Bertelsmann Stiftung empfiehlt daher, strukturelle Benachteiligungen für Zugewanderte weiter abzubauen und so die Voraussetzungen für ihre gesellschaftliche Teilhabe zu verbessern. Neue gesetzliche Regelungen zur Antidiskriminierung sollten dafür ebenso geprüft werden wie rechtliche Maßnahmen zur Förderung von Migrantinnen und Migrantinnen bei der Besetzung von Stellen in Verwaltung und öffentlichem Dienst. Doch auch symbolische Anlässe und Orte, wie Einbürgerungsfeiern oder das geplante "Haus der Einwanderungsgesellschaft" in Köln, spielen eine wichtige Rolle: "Projekte, die Wertschätzung und Anerkennung gegenüber zugewanderten Mitbürgerinnen und Mitbürger zum Ausdruck bringen, fördern das Zusammenwachsen sowie das Selbstverständnis als Einwanderungsgesellschaft. Darüber hinaus können sie dazu beitragen, Deutschland als weltoffenes Land für ausländische Fachkräfte attraktiver zu machen, was angesichts des demografischen Wandels dringend nötig ist", sagt Ulrike Wieland, Integrationsexpertin der Bertelsmann Stiftung. Um mehr qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland zu gewinnen, sollten zudem die Bestimmungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes konsequent angewendet werden, insbesondere im Bereich der beruflichen Ausbildung.
Quelle/Weitere Informationen: Bertelsmann Stiftung, Pressemitteilung vom 16. Februar 2022