Verbandstag 2019

Vertrauen – Transparenz – Kontrolle


Charlotte Britz
(Bild Mitte) eröffnete als stellvertretende Verbandsratsvorsitzende des vhw die Veranstaltung mit dem Glückwunsch an Prof Dr. Jürgen Aring (Bild rechts) zur Wiederwahl als Vorstand sowie an Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus zur Wahl als Ehrenmitglied des vhw auf der Mitgliederversammlung am Vormittag. Sie unterstrich die Wichtigkeit des Spannungsfeldes von lokaler Demokratie, Bürgerbeteiligung, Transparenz und Vertrauen mit Bezug auf ihre langjährige Zeit als Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Saarbrücken. Vor diesem Hintergrund fragte sie, wer sich denn heute überhaupt noch in Räte und Gremien wählen ließe. Die Parteien- und Interessenvertretungslandschaft sei zwar vielfältiger geworden, trotzdem repräsentierten die gewählten Vertreter nicht immer die Vielfalt der Bevölkerung. Prof. Dr. Jürgen Aring, Vorstand des vhw, leitete anschließend in das Verbandstagsthema ein, indem er den Schwerpunkt "Vertrauen – Transparenz – Kontrolle" in das Spektrum von lokaler Demokratie und Stadtentwicklung einordnete und die Relevanz des Themas auch für die Arbeit des vhw beleuchtete. Mit dem Blick auf das Veranstaltungsprogramm wünschte er allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen interessanten und gewinnbringenden Verbandstag 2019.

Die Stadt als Mikrokosmos von Demokratie


Prof. Dr. Edda Müller
(Bild Mitte), zuletzt Vorstandsvorsitzende von Transparency International Deutschland, referierte zum Thema "Die Stadt als Reallabor der Demokratie und des gesellschaftlichen Zusammenhalts". Ziel sei es herauszufinden, was die Stadt im Innersten zusammenhält – frei nach Johann Wolfgang von Goethe: "Herrschen lernt sich leicht, regieren schwer". Dabei lohne es sich, einen Blick auf die "Macht auf Zeit" in der repräsentativen lokalen Demokratie zu werfen. Denn die Aufgabe der lokalen Demokratie solle ein, den sozialen gesellschaftlichen Zusammenhalt in einer Stadt zu gewährleisten und nicht lediglich die Interessen einer Mehrheitsgesellschaft zu vertreten. Die Politikwissenschaft unterscheide dabei zwischen Input-orientierter Legitimation (Government by the people) und Output-orientierter Legitimation (Government for the people). Edda Müller stellte das Thema des Verbandstages mit Hilfe eines historischen Abrisses von Paradigmen und Leitbildern in den Kontext von Wohnen, Stadtentwicklung und lokaler Demokratie. Das Leitbild des "moderierenden und kooperierenden Staates" sei inzwischen: Governance statt Government. Verlorenes Vertrauen solle durch mehr Transparenz und Einbindung der Bürger sowie einer Kontrolle von Politik und Verwaltung zurückgewonnen werden. Instrumente zur Transparenz und direkter Bürgerbeteiligung alleine seien hingegen kein Patentrezept zur Stärkung der lokalen Demokratie – es müsse noch einiges mehr hinzukommen.

Kommunalpolitik als Schule der Demokratie

 

Anschließend referierte Dr. Oliver Junk (Bild Mitte), Oberbürgermeister der Stadt Goslar, zum Thema "Verlust des Kommunalen? Lokale Demokratie im Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Misstrauen". Ja, es herrsche Misstrauen zwischen Bürgern und Politik, so sein Eingangsstatement, und während Feuerwehrleute über die höchsten Vertrauenswerte in der Bevölkerung verfügen, rangierten Politiker gemeinsam etwa mit Versicherungsvertretern auf den hinteren Rankingplätzen. Darüber hinaus gelte auch: Je größer die Stadt, desto geringer das Vertrauen.Zur notwenigen Rückgewinnung des Vertrauens formulierte er sieben Thesen:

  • These 1: Wir sind oft nicht an den entscheidenden Themen, die die Menschen vor Ort in den Kommunen interessieren.
  • These 2: Wir haben einen "Kompetenzmischmasch" und unklare Verantwortlichkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen – verantwortliche Akteure können oft nicht ausgemacht werden.
  • These 3: Wir brauchen eine große Gebietsreform, um kompetente und wirksame Einheiten zu bilden: Die Menschen wollen nicht den "Ansprechpartner um die Ecke", sondern einen "Ansprechpartner, der das Problem schlüssig löst".
  • These 4: Es fehlt an vielen Stellen an Finanzmitteln, über die als kommunale Selbstverwaltung frei verfügt werden kann. Es gebe zwar für alles ein Förderprogramm, damit verbunden aber auch entsprechende Restriktionen zu Verwendung und Prioritäten.
  • These 5: Es fehlt an vernünftigen Formaten, die lokale Politik auch zu vermitteln. Vor diesem Hintergrund seien Versammlungen und Wahlplakate von gestern, Podcasts und WhatsApp-Bürgersprechstunden dagegen etwa zeitgemäßer. Kurz: "Wer nicht geht mit der Zeit, der geht mit der Zeit."
  • These 6: Repräsentative Demokratie statt direkte Demokratie stärken. Ein Durchhalten einer einmal gemachten Verantwortungsübernahme durch eine Wahl wirke gegen die derzeit oft wahrzunehmende Stimmungsanfälligkeit in der Bevölkerung.
  • These 7: Die Übernahme von politischer Verantwortung in Ehrenamt und Hauptamt muss viel attraktiver werden, als sie heute ist. Dies betreffe u. a. die Besoldungsstufen im öffentlichen Dienst.

Das Bauprojekt Oderberger Bad – Interview mit Verena Jaeschke


Das Stadtbad Oderberger wurde 1898 vom Architekten Ludwig Hoffmann konzipiert, um den damals rasant wachsenden Bezirk Prenzlauer Berg mit öffentlichen Einrichtungen zu versorgen, so Hoteldirektorin Verena Jaeschke (Bild links) im Interview mit Nadia S. Zaboura (Bild rechts). Die Eröffnung als "Volksbadeanstalt" erfolgte dann im Jahr 1902. 1986 musste das Bad schließen, seitdem sei hier niemand mehr geschwommen. Im Jahr 2012 begann die Sanierung des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes, seit Januar 2016 ist das Hotel Oderberger Berlin geöffnet.  Die Schwimmhalle werde nun auch als Eventlocation genutzt, seit dem 17. Oktober 2016 ist auch das Schwimmbad selbst eröffnet und es kann nach 30 Jahren wieder geschwommen werden. Das Bad gehöre zusammen mit dem Hotel zum GLS-Campus mit dem GLS Sprachenzentrum Berlin – einem Sprachreiseveranstalter mit eigener Sprachschule. Das Besondere des Ortes sei ein ohne Fördermittel auf privater Basis neu entstandenes Bad, das öffentlich zugänglich ist und dessen Betrieb durch die Nutzung als Kongress- und Eventfläche in Verbindung mit dem Hotel eine Querfinanzierung ermöglicht werde. Der Abstimmungsprozess in der Planungs- und Bauphase musste immer offen und transparent unter Einbeziehung aller Akteure erfolgen, was letztendlich zum Erfolg geführt habe.

Vertrauen – DNA lebendiger Stadtentwicklung?


Das Thema "Vertrauen" wurde in einer von Dr. Frank Jost (vhw) moderierten Diskussionsrunde aus verschiedenen Perspektiven diskutiert. Dabei nahm Prof. Dr. Claus-Christian Wiegandt (Bild Mitte) von der Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn die Perspektive von Forschung und Wissenschaft ein und unterstrich einleitend, dass es in der Bevölkerung auf der einen Seite durchaus Misstrauen gegen "die da oben" in der Kommunalpolitik gebe. Andererseits vertrauen Bevölkerungsgruppen auch auf das, was da im Rathaus entschieden wird. Öffentlich sichtbarer und wahrnehmbarer seien hingegen eher Tendenzen des Misstrauens. Goslars Oberbürgermeister Dr. Oliver Junk (Bild rechts) übernahm in der Diskussionsrunde die Sicht von Politik und Verwaltung. In Bezug auf die in seinem Vortrag erwähnte "These 6" zur Stärkung der repräsentativen Demokratie nutzten in Goslar die gewählten Stadtverordneten Bürgerentscheide als Entscheidungshilfe und Rechtfertigung.


Cordula Fay vom GdW – Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. unterstrich die Sicht der Wohnungswirtschaft. Der GdW bilde die Vielfalt der Wohnungsunternehmen ab und deshalb müsse sich die Wohnungswirtschaft generell der "Vertrauensfrage" stellen. Diese Diskussion finde gerade in letzter Zeit vor dem Hintergrund steigender Mieten und fehlender freier Wohnungen verstärkt statt. Als Architekt und Projektentwickler stand Christian Schöningh (Bild Mitte) in der Runde für die Sicht der Zivilgesellschaft bzw. der "Intermediären". Er unterstrich, dass etwa Baugruppen der unterschiedlichsten Art oder auch Genossenschaften nach dem Motto "gemeinsam sind wir stark" agieren und auch weiter eine große Konjunktur haben würden.

Ist der Bürger immer ein "guter Bürger" oder muss man auch der Zivilgesellschaft misstrauen? Oft gebe es in der Tat keine ehrlichen Argumentationen, so Prof. Dr. Claus-Christian Wiegandt, gleichwohl hätten die Bürger das Recht, ihre eigenen Interessen zu vertreten. Ein Problem damit entstehe etwa in gewählten Stadtparlamenten, so Dr. Oliver Junk mit dem Beispiel seiner Stadt Goslar, wenn man mit einer Gruppe von Personen (hier die AfD-Vertreter im Stadtrat) einfach nicht reden könne, weil die Zugänglichkeit fehle. Trotz aller – berechtigten – Einzelinteressen müsse doch mit Blick auf Projekte der Stadtentwicklung trotzdem die gesamtstädtische Sicht Vorfahrt haben vor der nachbarschaftlichen Sicht. Deshalb sei bürgerschaftliches Engagement immer gut, nur entscheiden dürften sie es eben nicht.

Beim Stichwort "Genossenschaften" votierten sowohl Christian Schöningh, als auch Cordula Fay für eine positive Einschätzung als Organisationsform. Die Zielgruppen der Genossenschaften seien zwar unterschiedlich – altehrwürdig/traditionell oder neu gegründet –, oft gehe es jedoch um gleiche Ziele, wie Integration, Mehrgenerationen-Wohnen, Gemeinnützigkeit. Sie seien vor diesem Hintergrund keine Nische auf dem Wohnungsmarkt, sondern ein wichtiger und aufstrebender Partner.

Prof. Dr. Claus-Christian Wiegandtverdeutlichte, dass man zwischen dem Vertrauen in die Person, in die Funktion, in die Institution, in die Verfahren oder in die Systeme unterscheiden müsse, insbesondere, wenn etwa die Bürger beim "Misstrauen auf die da oben" nicht zwischen Politik und Verwaltung differenzieren, wenn sie "das Rathaus" meinen. Vor diesem Hintergrund komme auch dem "Misstrauen" eine durchaus konstruktive Funktion zu, etwa dem "gesunden Misstrauen" (Kritik, Argwohn) im Gegensatz zu "zerstörerischem Misstrauen" (als Grundsatzhaltung, nicht offen für Argumente). In Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern lassen sich heute verschiedene Haltungen gegenüber dem Handeln der kommunalen Verwaltung bzw. der kommunalen Politik beobachten, so Prof. Wiegandt. Im Gegensatz zum Vertrauen sei Misstrauen i.d.R. nicht durch eine konstruktive Haltung geprägt. Misstrauen beinhalte vielmehr eine eher ablehnende Einstellung gegenüber dem Anderen. In der Kommunalpolitik entziehe es dadurch den Entscheidungsträgern, die guten Willens unterwegs sind, die Unterstützung und damit eine Grundlage für ein gemeinwohlorientiertes Handeln.
 

Wem kann man denn heute noch trauen?

 

Prof. Dr. Klaus Selle (Bild Mitte) lud in seinem Vortrag "Ende der Naivität? Beteiligungspraxis auf dem Prüfstand" zum Nachdenken über Bürgerbeteiligung heute ein. Der Hintergrund dabei sei, dass wir heute viel zu wenig über Kontext und Substanz von Bürgerbeteiligung und zu viel über Verfahren reden. Am Beispiel der Rolle der "tagesschau" in den sechziger Jahren verdeutlichte er den Wandel der Beschaffung von Informationen und der Meinungsbildung im Laufe der letzten Jahrzehnte bis hin zum Internet und den Möglichkeiten von "Social Media". Dies führte zu einer vollkommenen Umkrempelung der Informationslandschaft und zum Internet als "Büchse der Pandora", da dieses nicht nur ungeahnte Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten eröffne, sondern gleichfalls auch die von Lügen und Verfälschungen.In zahlreichen Beispielen über die Absurdität von  "Meinungsäußerungen" (z. B. Coal Rolling in den USA) und die selektive Berichterstattung und öffentliche Wahrnehmung von Veranstaltungen und Projekten illustrierte Klaus Selle die aktuelle zwiespältige und problematische Situation bei der Informationsgewinnung und Meinungsbildung. Die Leugnung von Pluralität gehöre im Sinne von "Wir sind das Volk" zu den fundamentalen Problemen und führe zum Misstrauen in die Demokratie. 

Bei Beteiligungsverfahren in Stadtentwicklungsprozessen seien oft schon die Ankündigungen problematisch. Auch sie bedürfen mit Blick auf ihre Vertrauenswürdigkeit kritischer Überprüfung, denn hier werde nicht selten mit falschen Versprechungen hantiert: "Plane Deine Zukunftsstadt!", "Wie würdest Du die Stadt verändern?", "Mein Stadtteil morgen" … so und so ähnlich heißt es auf Plakatwänden und Einladungsflyern am Anfang vieler Beteiligungsprozesse. Das wecke natürlich Erwartungen – die aber nicht erfüllt werden (können), so Klaus Selle. In der Folge führe dies dazu, dass in einer Vielzahl von Fällen eine Gestaltungsoffenheit suggeriert wird, die es de facto nicht gibt. Die Folgen: Frustration bei den Beteiligten, die anderes erwarteten. Aber warum werde dann immer noch auf diese Weise für Beteiligung geworben? Eine Antwort könnte lauten: Vermutlich sind viele Beteiligende nicht ganz zu Unrecht der Auffassung, dass eine offene Kommunikation über tatsächliche Gestaltungsspielräume das Interesse an der Beteiligung schlagartig erlahmen lassen würde.

Vor diesem Hintergrund müsse der Begriff "Beteiligung" im Sinne von "Mitentscheidung" überprüft werden, da es sich – ehrlicherweise – oft lediglich um "Information" handele. Auch werde –  etwa, wenn es um die Planung von Großprojekten geht – oft gezielt gelogen, um mit ehrlichen Kostenschätzungen die Akzeptanz zu Beginn des Projektes nicht zu gefährden. Um die Glaubwürdigkeit in Beteiligungsprojekten stehe es deshalb nicht gut. Zudem gehe es bei Beteiligung nicht um den Austausch von Argumenten, sondern um den Ausgleich von Interessen – und dazu müsse man sie benennen. "Lassen Sie uns Beteiligung vergessen, wenn es nichts zu beteiligen gibt – und stattdessen verlässlich und gut informieren!"

Ausblick


Prof. Dr. Jürgen Aring, Vorstand vhw e. V.,  schloss den vhw-Verbandstag 2019 mit einem Tagesfazit und dankteNadia S. Zaboura für die Tagesmoderation. Alle Anwesenden lud er ein, auch im kommenden Jahr wieder beim Verbandstag dabei zu sein und verwies zudem auf den für das Jahr 2020 geplanten Demokratiekongress des vhw. Der Verbandstag schloss mit einem Come together im besonderen Ambiente des Oderberger Bades.

Come together mit regem Austausch in besonderem Ambiente