BVerwG: Vorrangige Prüfung von asylrechtlichen Unzulässigkeitsgründen auch bei "Aufstockerklagen"

April 2019

Bestehen Anhaltspunkte für die Annahme, dass ein Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AsylG unzulässig ist, dürfe das Verwaltungsgericht einer Klage auf Zuerkennung internationalen Schutzes nur stattgeben, wenn die Voraussetzungen der betreffenden Unzulässigkeitsgründe nicht vorlägen. Dies gelte auch dann, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag in der Sache beschieden hat. Das hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am 25. April 2019 entschieden (Az: BVerwG 1 C 28.18).

Der 1998 geborene Kläger ist staatenloser Palästinenser und begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er lebte bis Ende August 2014 in Syrien im Flüchtlingslager Nairab des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Im September 2014 begab er sich nach eigenen Angaben in die Türkei und hielt sich dort etwa ein Jahr lang auf. Im November 2015 reiste er nach Deutschland ein. Auf seinen Asylantrag erkannte ihm das Bundesamt subsidiären Schutz zu. Seine auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Nach der Würdigung des Oberverwaltungsgerichts ist der Kläger als palästinensischer Volkszugehöriger sog. ipso facto-Flüchtling (§ 3 Abs. 3 AsylG), weil der Schutz, den er durch UNRWA erhalten habe, nicht länger gewährt werde.

Auf die Revision der Beklagten hat das BVerwG die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben.

Nach Auffassung des BVerwG hätte das Berufungsgericht mit Blick auf den mindestens einjährigen Zwischenaufenthalt des Klägers in der Türkei der Klage nicht stattgeben dürfen, ohne zuvor zu klären, dass der Asylantrag nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 4 AsylG unzulässig ist. Nach dieser Vorschrift, die das "Konzept des ersten Asylstaats" der RL 2013/32/EU umsetzt, sei ein Asylantrag unzulässig, wenn ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist und bereit sei, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 AsylG betrachtet werde. Voraussetzung für eine Unzulässigkeit nach dieser Regelung sei, dass der in Betracht gezogene Staat vom Herkunftsland des Betroffenen (das ist bei Staatenlosen das Land des gewöhnlichen Aufenthalts) verschieden sei, dass er bereit sei, den Ausländer wieder aufzunehmen, und dass er diesem eine den Anforderungen des § 27 AsylG i.V.m. Art. 35 RL 2013/32/EU entsprechende Sicherheit gewährleiste. Da das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob diese Voraussetzungen hinsichtlich der Türkei im Fall des Klägers erfüllt seien, habe das BVerwG nicht abschließend entscheiden können und der Rechtsstreit war zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Bei einer etwa erforderlichen neuerlichen Sachentscheidung zum ipso facto-Flüchtlingsschutz nach § 3 Abs. 3 AsylG werde das Oberverwaltungsgericht zu beachten haben, dass der aus einem Wegfall des Schutzes bzw. Beistandes durch UNRWA resultierende ipso facto-Flüchtlingsschutz zugunsten eines bei UNRWA registrierten staatenlosen Palästinensers, der einen Asylantrag in der EU gestellt habe, jedenfalls dann nicht mehr eingreife, wenn dieser zuvor einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat außerhalb des Tätigkeitsbereichs der UNRWA begründet habe. Von einem (vom Willen des Betroffenen unabhängigen) Wegfall des Beistands bzw. Schutzes durch UNRWA sei ungeachtet einer fortdauernden Tätigkeit dieser Organisation auch dann auszugehen, wenn es dem Betroffenen – etwa bürgerkriegsbedingt – nicht möglich sei, sich in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen in dem maßgeblichen UNRWA-Gebiet aufzuhalten. Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung vom 25. April 2019