Veranstaltungsberichte


Verbandstag 2023: Im Osten viel Neues - Genutzte Potenziale, engagierte Akteure, erfolgreiche Stadtentwicklung

Gut beworben (Bild links) und gut gefüllt (Bild rechts) fand unser Verbandstag am 19. Oktober 2023 im ehemaligen Kino Kosmos an der Karl-Marx-Allee in Berlin statt. Den innovativen Projekten und Wegen in der Stadt- und Regionalentwicklung im Osten eine Bühne zu geben, war Anliegen unserer Veranstaltung. Der zuvor auf der Mitgliederversammlung für eine dritte Amtszeit als vhw-Vorstand gewählte Prof. Dr. Jürgen Aring (Bildmitte) begrüßte die Gäste aus Kommunen, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft: "Zum ersten Mal nehmen wir ein regionales Thema auf die Agenda", so Aring. Er sähe auch nach über drei Jahrezehnten eine gewisse Unschärfe in der Wahrnehmung des Ostens. Positive Raumentwicklungen gingen in einer eher klagenden Stimmung unter oder würden überlagert. Er verweist auf Kommunikationsmuster, die wiederum Sterotype erzeugen und so Vorurteile begünstigen würden. Dann erinnerte er an den Besuch der vhw-Forschung mit vielen Aha's in Cottbus. Heute gehe es darum, von den Erfolgen vor Ort zu erzählen und die Wahrnehmung des Ostens zu thematisieren.

"Aufbruchgeschichten im Osten Deutschlands" von Prof. Dr. Jürgen Aring
in: Forum Wohnen und Stadtentwicklung Nr. 5/23
 


Thüringer Impulse für die Regionalentwicklung

Susanne Karawanskij (Bild links und rechts), Ministerin für Infrastruktur und Landwirtschaft des Freistaates Thüringen, betonte, wie wichtig es sei, sich in unplakativer Art und Weise wie auf dieser vhw-Veranstaltung die vielen positiven Details in der Entwicklung anzuschauen. 1990 startete eine tiefgreifende Transformation nicht nur in Thüringen, die das ganze Leben von Menschen betraf. Es wechselten Akteure, es veränderten sich räumliche Strukturen. Die Abwanderung in den 90ern war massiv, eine postsozialistische Stadtentwicklung überlagerte Prozesse, die Stadt und lokale Gegebenheiten wandelten sich. Im Osten wirkten die viele Programme der Städtebauförderung und häufig stand die Frage: Wem gehören die Gebäude? Der Blick nach vorn solle im Bewusstsein der Vergangenheit erfolgen, so die Ministerin. Thüringen hat 624 Städte und Gemeinden, 367 Kommunen haben weniger als  2.000 Einwohnerinnen und Einwohner und nur vier Kommunen haben mehr als 50.000. Das Land stehe ebenfalls vor den Problemlagen verknappter Ressourcen bei Finanzen, Personal und Zeit. Mit der IBA habe man sich eine internationale Bauaustellung geholt, die gezielt das Verhältnis von Stadt und Land in den Blick genommen hat. Es war eine aktivierende IBA, so die Ministerin, die zu "Was tun?" und "Wie entwickeln?" vor dem dem Hintergrund reduzierter Ressourcen Wege suchte und fand.

"StadtLand in Thüringen gestalten und entwickeln" von Prof. Dr. Barbara Schönig, Staatssekretärin im Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft, Erfurt " in: Forum Wohnen und Stadtentwicklung Nr. 5/23
 


Potenziale ostdeutscher Kommunen: Die Chance nutzen!

Der Oberbürgermeister der Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg, Silvio Witt (Bild rechts), zeigte anschließend in vielen Bildern und mit Euphorie, wie gut sich eine Stadt entwickeln kann. 775 Jahre Jubiläum feierte Neubrandenburg 2023. Ihr städtebauliches Gesicht ist durch das gleichzeitig Existente von Altehrwürdigem wie die Marienkirche und aus der sozialistischen Baukultur wie der "Kulturfinger" von Widersprüchlickeit geprägt. Der erste WBS-70-Block, der übrigens in Neubrandenburg entwickelt wurde, steht in der Oststadt heute unter Denkmalschutz. Die drittgrößte Stadt in Mecklenburg-Vorpommern traf nach der Wende eine mutige Entscheidung, so Witt, nämlich vorerst nichts zu tun, um in Ruhe Verwertungskonzepte zu entwickeln und so entstand zum Beispiel ein frei zu umgehender Konzertsaal in der Marienkirche. Das Franziskanerkloster ist heute das moderne Regionalmuseum in Neubrandenburg. Seit 2015 und mit heute wieder 66.000 Einwohnerinnen und Einwohnern werde daher auch stärker in die soziale Infrastruktur investiert, drei Schulen sind im aktuellen Haushaltsplan verankert, so der Oberbürgermeister.

"Aufstieg und Wandel in der Stadt Neubrandenburg" von Julia Manthe, Stadtentwicklung; Fachbereich Stadtplanung, Wirtschaft und Bauordnung; Vier-Tore-Stadt Neubrandenburg
in: Forum Wohnen und Stadtentwicklung Nr. 11/23
 


Empirische Befunde - Aufschwung Ost (!?)

33 Jahre ostdeutsche Stadtentwicklung nahm Prof. Dr. Harald Simons (Bild links) mit empirischen Zahlen aus verschiedenen Zeiträumen zu den Herausforderungen wie Innenstadtentwicklung, Arbeitslosigkeit, Wohnen und demografischem Wandel in den Blick. Zur Wende bilanzierte er einen Leerstand von 420.000 Wohnungen, Innenstädte waren damals recht grau und verödet. Eine Abwanderungswelle gen Westen prägte zudem die Zeit, die Simons für Ostdeutschland bereits Mitte der 90er Jahre als beendet kennzeichnet. Dadurch entstanden kurzfristig Wohnungsleerstände, zeitgleich begünstigt durch eine massive Bauaktivität, was zum Teil die Wohnungsversorgungsprobleme qualitativer Art löste. Leerstände wegen Unbewohnbarkeit und Verluste beim unsanierten Altbau, vorerst nicht bei der Platte, schadete wohl dennoch den ostdeutschen Innenstädten. Mit dieser Hypothek startete man. Die Förderung von Abriss in der Wohnungspolitik und eine zeitgleiche Sanierung von Altbaubeständen in den 2000er Jahren führte zwar 2011 dazu, dass 54 Prozent aller ostdeutschen Mittel- und Oberzentren (199) eine Leerstandsquote von unter acht Prozent aufwiesen, der Leerstand blieb aber haften und "saß im Altbau", so Simons. Die Quote lag 2011 in den Kern- und Innenstädten deutlich höher. Aus heutiger Sicht ist festzustellen, dass alle großen Altlasten und Herausforderungen der Nachwendezeit bewältigt sind. Die Städte haben sich völlig verändert, fast alle Gebäude, Straßen und der öffentliche Raum wurden generalsaniert oder neu gebaut. Die Innenstädte verfügen über neue Strahlkraft, die relative Attraktivität der Klein- und Mittelstädte in Ostdeutschland sowie des ländlichen Raums ist gestiegen.
 

Die Entwicklung ostdeutscher Städte seit der Wiedervereinigung
von Prof. Dr. H. Simons in: Forum Wohnen und Stadtentwicklung Nr. 6/23


Grußbotschaft von Staatsminister Carsten Schneider

Der Staatsminister und Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland bei der Bundesregierung würdigte die Veranstaltung des vhw, der als Wissensakteur eine wichtige Rolle spiele. Eine gute Stadtentwicklung bedeute mehr Lebensqualität, so Schneider. Im Osten gebe es viele innovative Stadtentwicklungskonzepte, die Städte seien im Wandel und vielerorts gebe es eine neue Dynamik durch wirtschaftliche Impulse. Ostdeutschland sei ein Vorreiter beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, was gute Chancen böte, so der Staatsminister. Heute lägen die Herausforderungen vor allem bei Wachstum und Zuwanderung in den Städten. "Es muss das Ziel sein, aus der wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort gute Perspektiven zu machen", so Carsten Schneider und wünschte der Veranstaltung gute Impulse.

 


Stadtgespräche " Im Osten viel Neues"

mit Barbara Ludwig (Bild untere Reihe links), Oberbürgermeisterin a. D. der Stadt Chemnitz, Marietta Tzschoppe (Bild untere Reihe Mitte), Bürgermeisterin und Leiterin des Geschäftsbereichs Stadtentwicklung und Bauen der Stadt Cottbus und Torsten Pötzsch (Bild untere Reihe rechts im Bild), Oberbürgermeister der Stadt Weißwasser, moderiert von der MDR TV-Journalistin Minou Amir-Sehhi (Bild untere Reihe rechts, links im Bild).

M. Tzschoppe: Ja, viele, die Cottbus noch nicht kannten, korrigierten nach einem Besuch vor Ort ihr Bild. Längst sei es nicht mehr grau, sondern grün. Sie sei froh über die vielen Ansiedlungen nach der Wende, die nicht nur Cottbus und der Lausitzer Region helfen, sondern mit dem neuen SciencePark nationale und internationale Bedeutung erlangen werden.

B. Ludwig: Involviert in die Bewerbung schon für Görlitz zur Europäischen Kulturhauptstadt hat sie maßgeblich die Bewerbung von Chemnitz für 2025 forciert. Die Reaktionen seien nicht sofort freudig gewesen, zumal man in der ersten Runde gegen Dresden angetreten sei. Wenn sich das Tor Europas in zwei Jahren nach Chemnitz öffnet, sei die Industriestadt eine ganz typische. Sie hat viel zu erzählen, ist vielschichtig und kann mit Kulturellem überraschen.

T. Pötzsch: Auch wenn Weißwasser mehr Eishockey-Meistertitel als Berlin zu vermelden hat, traf die Stadt die Abwanderung hart. Sieben Glashütten schlossen und die Zukunft war ungewiss. Heute, mit 16.000 Einwohnerinnen und Einwohnern ist Weißwasser ein Ort, um zu gestalten. Die Stadt kann sich derzeit über einen Zuzug junger Menschen und damit guter Expertise freuen.

 


Über den Tag hinaus gedacht

Buchautor und Journalist Uwe Rada ist ein anerkanntes sensibles "Radar" für den Osten. Mit dem Buch "Morgenland Brandenburg" hat er sich erneut vor Ort begeben, um die Entwicklungen vor allem in den kleinen Städten und Orten wahrzunehmen und sichtbar zu machen. In einem Gespräch mit vhw-Vorstand Jürgen Aring (Bild links) erklärt er seine Hochachtung vor diesen Menschen, die sich aufmachen, mutig und immer wieder, selbst wenn der Erfolg nicht garantiert sei. Es gelte, dem alten, immer mal wieder verwendeten Aschenputtel-Image entgegenzuwirken. Im Anschluss las Rada (Bild rechts) 13 Auszüge aus seinen Buchgeschichten in echter Kinoatmosphäre.

13 Auszüge aus dem Buch "Morgenland Brandenburg"

 

Was vom Tage hängenblieb

Mit prägnanten Sätzen und relevanten Erkenntnisse blickte vhw-Vorstand J. Aring auf den Tag. Ein Schlüsselbegriff war für ihn "Stadt auf der Kippe", der in verschiedenen Beiträgen genannt wurde. Er steht einerseits dafür, dass viele Städte im Osten inzwischen gute Entwicklungswege gehen und Perspektiven haben. Andererseits sind die Echos der extrem schnellen Wende und der damit verbundenen Fehler immer noch wirkmächtig. Insofern gibt es derzeit keine Garantie für eine erfolgreiche Stadt- und Regionalentwicklung, aber viel bessere Voraussetzungen als zuvor. Viele Städte im Osten erleben inzwischen eine Nettozuwanderung. Berichtet wird, dass gerne Menschen zuwandern, die in ihrer neuen Heimat selbstwirksam sein möchten. Gemeinsam mit den langjährig Engagierten vor Ort kann viel bewegt werden. Wichtig ist, die Städte in dieser Situation zu unterstützen. Zum einen durch Anerkennung und Respekt, zum anderen durch "harte Maßnahmen", sei es beim Ausbau von Bahninfrastruktur oder bei Verhandlungen mit großen Unternehmen. Wie immer hat der vhw-Verbandstag in Berlin stattgefunden, es wäre aber wünschenswert, Diskussionen wie heute "in die Fläche zu bringen" -  und zwar im Osten wie im Westen. Der Vorstand dankt allen Mitwirkenden für den erfolgreichen Verbandstag.