Verbandstag 2017

Mit Vielfalt umgehen! Eine Herausforderung für lokale Demokratie und Stadtentwicklung


"Vielfalt ist eine gesellschaftliche Tatsache und der Umgang mit ihr Thema des Tages – machen wir also heute etwas damit" – so moderierte WDR-Journalistin Asli Sevindim (Bild links) den Verbandstag 2017 an. Dr. Peter Kurz (Bildmitte), Verbandsratsvorsitzender vhw e. V., begrüßte die über 230 Gäste aus großen und kleinen Städten, aus Gemeinden, Wohnungsunternehmen, Universitäten, Politik, Instituten und der Bürgerschaft in der Kalkscheune, Berlin. Urbanität, so führte er aus, ist heute weit mehr als räumliche Verdichtung. Zunehmend versteht sich darunter eine zivilisatorische Haltung. Der vhw setzt sich seit langem mit der Empirie auseinander, was in unseren Städten geschieht. Integration ist ein gutes Beispiel. Wir sehen die Ankommenden und die Aufnehmenden und was dies für die Organisation der Prozesse und den Umgang damit bedeutet. In den Städten erleben wir, dass Lebensstilfragen immer stärker auch für Abgrenzung benutzt werden. Der Lebensstil wird sozusagen zum politischen Programm und der Kommunikationsraum "Stadt" fällt auseinander. Als Verwaltung dringen wir mit unseren Botschaften teilweise gar nicht mehr durch. Kommunikationsräume haben sich stark differenziert. Dies zu untersuchen, ist eine weitere Aufgabe für den vhw, denn Kommunikation ist für die lokale Demokratie ein konstituierender Faktor. 

Abenteuer Freiheit bleibt anstrengend: vom liberalen Umgang mit Vielfalt


Prof. Dr. Carlos Strenger,  Psychoanalytiker, Philosoph und Autor, bestärkte die hier angetroffene Offenheit für Grundsatzfragen, denn die Frage zum Gemeinwohl wird selten gestellt. Lange in Tel Aviv lebend, erfuhr er, wie eine liberale Ordnung langsam in Gefahr gerät und sogar droht, in eine illiberale zu kippen. Es ist Angst in der Welt und diese so wahrgenommene Gefahr ist real. Auch wenn Macron in Frankreich gewonnen hat, ist es immer noch wahr, dass Le Pen 34 Prozent der Stimmen bekam. Die in die Welt gesetzte These, dass Europa vor einer Islamisierung steht, bezeichnet Strenger in Anbetracht der Zahlen als eine reine Lüge. Dennoch hat sie Unruhe erzeugt. Ein Grund dafür sieht Strenger bei den gemäßigten Parteien ab der 60-er Jahre. Diese sind nämlich in einen Zustand gekommen, in dem sie die politische Korrektheit wie ein Dogma akzeptiert haben: nicht kritisieren zu dürfen! Wer nicht kritisieren darf, wird aber unfähig, die eigene Kultur zu verteidigen. Das wiederum verunsichert mehr und mehr die Bürger, und dann kommen Kräfte, die die Verteidigung der westlichen Werte übernehmen, die ein "Wir" in die Welt bringen, das nicht legitimiert ist. Er habe daher versucht, eine Sprache zu entwickeln, die einerseits die politischen Anschauungen verteidigt ohne andererseits die liberalen Grundprinzipien zu verletzen und meint mit seiner so bezeichneten "zivilisierten Verachtung" einen respektvollen, zivilisierten Austausch von konträren Ansichten. Civitas = sich urban, städtisch, im Wissen um Regeln entsprechend zu verhalten.

Vielfalt als Chance für die Stadtgesellschaft – im Gespräch mit Dr. Mark Terkessidis


Wer sich mit Einwanderungsgesellschaft beschäftigt, weiß um die Ungleichzeitigkeit in dieser Debatte. 
Asli Sevindim: Wie läuft's mit der Integration in Deutschland?
Markt Terkessidis führt hier an, dass die BRD ein noch junges Einwanderungsland ist. Deutschland hat dies erst 1998 mit der Formulierung, dass es sich hierbei nun um einen unumkehrbaren Prozess der Zuwanderung handelt, "offiziell" gemacht.
Asli Sevindim: Vielfalt in der Stadtplanung, sieht es hier schon gut aus?
Mark Terkessidis beschreibthier die zwischen München und Dresden vorhandenen unterschiedlichen Ausgangslagen und daher auch einen unterschiedlichen Umgang damit. Interkulturelle Offenheit ist verschieden ausgeprägt. In Planungsgremien lässt sich oft feststellen, dass man ohne die reale Stadt plant. Er ist in Eschweiler mit 50.000 Einwohnern aufgewachsen und verglich daher die reale Bevölkerung von Eschweiler auch gern mal mit der von New York. Es gibt einen transnationalen Raum, der bereits von der kleinsten Stadt ausgeht und in sie hinein wirkt. Die Stadt ist eben kein Container mehr.
Asli Sevindim: Damit konfrontiert sind verschiedenste Berufsgruppen, auch wir Journalisten.
Mark Terkessidis macht am Beispiel der öffentlich rechtliche Anstalten deutlich, wie der Stand der beschäftigen Mitarbeiter mit Migrationshintergrund ist – etwa 3 bis 4 Prozent – und stellt dazu die Frage, wer da eigentlich auf wen guckt?  Der Begriff der Integration ist nicht "sein" Begriff. Integration, so sieht er es, ist nicht harmonistisch in dem Sinne, ist sie abgeschafft, sind wir alle wieder homogen. Das wird nicht mehr der Fall sein.

Gemischte Quartiere oder gemischte Gefühle? Das Stadtquartier als Handlungsebene für Integration und Teilhabe


Gesprächsrunde mit Cordula Fay, degewo AG, Abteilungsleiterin Quartiersentwicklung, Dr. Matthias Schulze-Böing, Amtsleiter Arbeitsförderung, Statistik und Integration aus der Stadt Offenbach (Bild links) und Prof. Dr. Reiner Staubach, Vorstand im Planerladen e. V. in Dortmund (Bild rechts).
Asli Sevindim: Ist diese Vielfalt bei Ihnen Realität?
Cordula Fay: Für Berlin gilt das in jedem Fall. In Großraumsiedlungen, die deutlich homogener sind, ist die Offenheit zurückhaltender, obwohl auch ihre Bewohner in einer globalisierten Welt leben.
Matthias Schulze-Böing: In Offenbach leben 159 verschiedene Nationalitäten, wir haben 60 Prozent Einwohner mit Migrationshintergrund, da sind wir führend, sogar in Europa. Wir haben aber auch die höchste Gründungsrate, was in der migrantischen Bevölkerungsstruktur begründet ist. Kontroversen sind für den sozialen Zusammenhalt wichtiger als alles politisch nur zu beglaubigen. Vielfalt ist bereichernd, aber sie ist auch anstrengend, das sollte man der Stadtbevölkerung nicht vorenthalten.
Reiner Staubach: In der Dortmunder Nordstadt, einem Ankunftsort, ist es keine "Kuschelveranstaltung". Aber Konflikte sind etwas, was man aufgreifen sollte und nicht umschiffen. Konflikte werden bei uns häufig auf die Herkunft zurückgeführt. Die Bezirksvertretung bildet aktuell die Stadtgesellschaft nicht annähernd ab. Hier sind noch Öffnungsprozesse zu leisten.
Asli Sevindim: Was macht denn ein gutes Quartier aus?
Cordula Fay: Ein Quartier ohne Nachbarschaftskonflikte. Wir haben ein Leitbild entwickelt, worüber ein Streit entbrannte. Wollen wir lieber ein friedliches Miteinander oder ein friedliches Nebeneinander? "Leben und leben lassen" wäre ein schönes Motto.
Reiner Staubach: Früher war mehr Zusammengehörigkeit ... das höre ich oft. Die Heterogenität ist oft so hoch, dass sich Gemeinsamkeiten schwer herstellen lassen.
Matthias Schulze-Böing: Ein gutes Quartier hat eine gewisse Balance, so dass man nebeneinanderher leben kann und doch auch Elemente der Verbundenheit findet. Eigene Begegnungsräume, angenommene öffentliche Räume oder Netzwerke gegenseitiger Hilfe sind gute Ansätze für eine erfolgreiche Quartiersmanagementarbeit.

Mit Vielfalt umgehen! Geht ein Riss durch die Gesellschaft? Über Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt


Zwei Stadtgeschichten gab uns der renommierte Soziologe Prof. Dr. Heinz Bude mit auf den Weg, eine gute und eine "böse". Die nicht so gute geht so: Fragen Sie sich nicht manchmal auch, wohin geht eigentlich heute das viele Kapital? Kein Fond ohne ein Immobilienanteil. Seit 2008 hat das weltweite Kapital Städte als profitable Anlageprojekte entdeckt. Und dieser Trend wird weitergehen. Stadtentwicklung also unter dem Druck des Kapitals. Bude sieht daran zwei Entwicklungslinien geknüpft , die "Londonisierung" mit den Sitzen von Finanzdienstleistern und Headquartern und die "Brooklynisierung" der Stadt mit den Hipstern, Cityridern....lovely jobs und dead end jobs, die in ihrem Berufsleben nie auf einen grünen Zweig kommen. Letztere werden zunehmen, das Wohnen für sie wird schwer bezahlbar. In der – hier sehr verkürzten – Konsequenz wird der Riss zum Graben durch die Enteignung unseres Lebensraums. Und: Wer redet denn bei der Integration noch von den "normalen" Menschen in unseren Städten? Die Polarisierung führt zu einer überflüssigen Gruppe, den "Normalos".

Die freundliche Geschichte geht anders: Zwei Bücher: If Mayors Ruled the World  und Arrival City geben dafür die Botschaften aus: Städte sind die Orte der Zukunft. Hier wird ausgemacht, wie die Smart City mit der Arrival City zusammenkommt. Städte als Labore einer neuen Welt, eines neuen Ökonomismus mit Modellen der Zwischennutzung, der Rückgewinnung von städtischem Raum, den Tauschbörsen, der Zivilsteuerung. Nachbarschaften fragen sich, was sie haben wollen und setzen das um. Das Sammeln von Energien, Gedanken und Lösungen als Antwort auf die zuvor beschriebene Spaltung. Es entwickelt sich ein experimentelles "Wir" in respektvollem Umgang. Aber, auf welchem Boden soll das passieren? Was wären die Voraussetzungen dafür, dass die freundliche die "böse" Erzählung dominiert?

Ausblick


Vorstand Prof. Dr. Jürgen Aring zog ein Tagesfazit. "Auf dem Verbandstag wurde unter dem Themendach der Vielfalt zum einen die Frage nach dem 'wir und die anderen' behandelt und zum anderen der Blick auf den notwendigen Kampf für die liberale Ordnung als Voraussetzung von Zusammenleben gerichtet. Der vhw leistet seit Jahren mit seiner Arbeit einen Beitrag für die Stärkung der lokalen Demokratie. Die Transformation in den Städten und der Zusammenhalt haben viel miteinander zu tun. Vielfalt ist Normalität, Vielfalt hat ihre besonderen Orte, Vielfalt ist und bleibt anstrengend. Es war ein anregender Verbandstag zum Weiterdenken. Wir haben heute viele Impulse bekommen, auch, um unsere Arbeit in diesem Kontext zu prüfen. Vielen Dank an unsere teilnehmenden und vortragenden Gäste dafür. Ich habe aber auch ein verhaltenes Murren und Scharren, einen sich dahinter vermuteten Widerspruch, wahrgenommen. Für uns ist der Verbandstag immer auch ein Tag des bewussten Öffnens, des Einholens verschiedener Perspektiven und eine Plattform des Sich-Reibens, des Diskutierens und gegenseitigen Anregens. Das können, ja müssen wir sogar als ein Nicht-Lobbyverband. Tun wir es jetzt doch noch bei unserem Get together. Sie sind alle herzlich eingeladen."

Gegenseitiger Austausch und ein aktives Vernetzen sind genutzte Bestandteile der vhw-Verbandstage