Fünf Berliner Stadtentwicklungsinitiativen für Studie ausgewählt

September 2016

In Vorbereitung einer Studie wurden für eine dazu zu erstellende Figurationsanalyse Akteure ausgewählt, um u. a. zu verstehen, wie diese Stadtakteure mit ihrer Vermittlungsrolle die lokale Demokratie beeinflussen und ein tieferes Verständnis ihrer Arbeit zu erhalten. Zwei Initiativen werden jeweils unter den Themenfeldern "Stadtentwicklung/Wohnen" und "Flüchtlings-/Willkommensinitiativen" angeschaut. Als fünfte Initiative wird das "Haus der Statistik" untersucht, das an der Schnittstelle beider Themenfelder verortet werden kann.

Die "Initiative Bundesplatz" ist dem Themenfeld"Wohnumfeld" zuzuordnen. Seit ihrer Gründung durch Anwohner 2010 bemüht sie sich darum, die Aufenthalts- und Erholungsqualität des Gebiets Bundesplatz und Bundesallee wiederherzustellen. Der Verein "Initiative Bundesplatz e. V." hat inzwischen über 230 Mitglieder, die die Grünflächen auf dem Bundesplatz pflegen und regelmäßig zu einem Stammtisch zusammenkommen. Neben der Instandsetzung und -haltung der Grünflächen hat sich die Initiative auch mittel- und langfristige Ziele gesetzt und Forderungen an die Politik formuliert. Ziel ist es, aus dem Bundesplatz ein Beispiel für den Rückbau der autogerechten Stadt zu machen. Wir haben uns für eine nähere Analyse der "Initiative Bundesplatz" entschieden, da sie von Anfang an den offensiven Versuch unternimmt, Kooperationen mit Politik, Verwaltung und Wissenschaft einzugehen. Die Initiative hat in relativ kurzer Zeit bereits einiges erreicht und es geschafft, die Bezirkspolitik für sich zu gewinnen. Die Vision hinter den vielen kurz- und mittelfristigen Zielen, ein neues Mobilitäts- und Beteiligungskonzept für die Stadt zu entwerfen, ist ein weiterer ausschlaggebender Grund zur Auswahl für eine vertiefende  Fallanalyse.

"Kotti & Co." ist ebenfalls eine Initiative, die sich dem "Wohnumfeld" widmet, hierbei allerdings andere Wege beschreitet als die "Initiative Bundesplatz". Entstanden aus der konkreten Not heraus,  sich die Mieterhöhungen rund um das Kottbusser Tor nicht mehr leisten zu können, erregt die seit 2011 bestehende Mietergemeinschaft mit ihren Aktionen immer wieder stadtweit Aufmerksamkeit, bspw. durch die dauerhafte Besetzung des Kottbusser Tors durch ein Gecekondu, einem für alle offenen Protesthaus, vor Ort. Ziel ist es, auf die prekäre Situation der Bewohnerinnen und Bewohner des (ehemals) sozialen Wohnungsbaus aufmerksam und sich für eine Rekommunalisierung des sozialen Wohnungsbaus stark zu machen. Der überwiegend nicht-institutionelle Weg, für den sich "Kotti & Co" entschieden hat, hat, macht die Initiative für eine Fallanalyse interessant. Auch, wenn die Initiative Unterstützung aus Teilen der Politik erfährt, geht sie keine Bündnisse mit Parteien ein, sondern versteht sich als Bottom-up Initiative, die die Anwohnerinnen udn Anwohner selbst ermächtigt, sich als Akteur gegenüber den Vermietern, der Verwaltung, der Politik, den Jobcenter, etc. zu positionieren und Forderungen zu artikulieren. Die Initiative organisiert Konferenzen, veröffentlicht Konzepte und Stellungnahmen zum Thema und ist berlin- und deutschlandweit vernetzt.

"Hellersdorf hilft e. V." ist eine seit 2013 bestehende Willkommensinitiative, die sich als Reaktion auf zunehmende rassistische  Stimmungen im Umfeld einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Hellersdorf gegründet hat. Die Initiative versucht mit antirassistischer Arbeit im Wohnumfeld eine Willkommenskultur zu etablieren, z. B. mit Workshops in angrenzenden Schulen und macht sich für die gesellschaftliche Partizipation der Geflüchteten im Bezirk stark. Von Beginn an machte die Initiative unter anderem auf Probleme bei der inzwischen bundesweit bekannten ehemaligen Betreibergesellschaft der Flüchtlingseinrichtung "PeWoBe" aufmerksam.

"Willkommen im Westend" gründete sich ebenfalls im Jahr 2013. Seit dem ist eine dichte Infrastruktur zur Unterstützung von Geflüchteten entstanden. Die gesellschaftlich breit getragene Initiative plant außerdem das Projekt "Interk(ult)uranstalten", bei dem ein altes Sanatorium zu einer vielfältig genutzten sozialen und kulturellen Einrichtung umgebaut werden soll. "Willkommen im Westend" ist inzwischen ein fester Ansprechpartner für Politik und Verwaltung geworden und Vertreterinnen und Vertreter der Initiative berichten regelmäßig im Integrationsausschuss der BVV. Die Initiative funktioniert als dynamisches Gebilde mit einer sich ständig verändernden personellen Situation. Auch dieser Umstand macht die Initiative für eine  tiefere Analyse interessant.

Das "Haus der Statistik" soll in der Untersuchung der Initiativen als Bindeglied zwischen dem Themenfeld "Wohnumfeld" und "Willkommensinitiative" dienen. Diese plant im leerstehenden Gebäudeensemble des ehemaligen Haus der Statistik am Alexanderplatz die Umsetzung eines integrativen Wohn- und Kreativprojekts. Neben Wohnraum für Geflüchtete, Studierende, Senioren und andere Berlinerinnen und Berlinern sind Arbeitsräume für Kunst, Kultur und Bildung geplant, sodass ein Ort der Begegnung und innovativen Mischnutzung entstehen soll. Bisher befindet sich die Initiative in der Planungsphase. Die angestrebte Nutzungsmischung und eine vielfältige Zusammensetzung der Akteure aus Geflüchteteninitiativen, Künstlerkollektiven, (Bezirks-)Politikerinnen und -politikern macht die Initiative interessant für eine Fallanalyse.